18 SOMMER 2024 Gotha – RB. Hitzetage, Dürren, Waldbrände und Überschwemmungen – die Zeichen des Wandels sind allgegenwärtig, Katastrophenmeldungen dominieren die Medien: Immer mehr Menschen engagieren sich deshalb, gehen auf die Straße, wollen ihre Gewohnheiten anpassen. Doch wie? Eine Ausstellung im thüringischen Gotha versucht Antworten auf diese Fragen zu finden: „S.O.S. Grünes Herz. Unsere Natur im Wandel“ bringt den Besucher*innen auf anschauliche und unterhaltsame Weise näher, warum und in welchem Ausmaß unsere heimischen Lebensräume geschädigt sind und zeigt mögliche Wege zur Verbesserung auf. Die Jahreshauptausstellung der Friedenstein Stiftung Gotha, die vom 28. April bis 27. Oktober 2024 im Herzoglichen Museum Gotha zu sehen ist, behandelt ein globales Thema auf lokaler Ebene und nimmt dabei auch gesellschaftspolitische Themen in den Blick. Sie lädt die Besucher*innen auf eine Reise durch die Veränderungen unserer heimischen Landschaften und Ökosysteme ein. „Die Ausstellung wirft einen Blick auf die Komplexität der Umwelt. Sie zeigt, welchen Einfluss der Mensch auf seine Umwelt hat“, sagt Dr. Christian Göcke, Kurator der Ausstellung und betont, dass nicht allein der Klimawandel für die spürbaren Veränderungen in unserer Zeit verantwortlich ist. Industriell geprägte Landschaften, die Zunahme von Monokulturen in der Land- und Forstwirtschaft, die Begradigung und Kanalisierung vieler Fließgewässer – all das hat nicht nur ökologische, sondern auch soziale und ökonomische Folgen. Ein besonderes Augenmerk gilt dem zunehmenden Artensterben als Folge der Veränderungen. Die Schau zeigt an Beispielen aus dem lokalen Umfeld Gothas – die exemplarisch auch für andere Regionen Deutschlands stehen –, wie die menschlichen Aktivitäten in der Natur zu gravierenden Problemen führen. Die Ausstellung stellt auch eine ganz grundsätzliche Frage: Was eigentlich ist Natur? Ein Zufluchtsort gleichbedeutend mit Harmonie und Erholung? Oder doch eher ein gefährlicher, unberechenbarer Ort, den Erdbeben, Stürme oder auch Ungeziefer unwirtlich machen? Ist der vermeintliche Urzustand der Natur, den viele wieder herstellen wollen wirklich ursprünglich oder nicht vielmehr eine vom Menschen bereits seit Jahrhunderten geprägte Kulturlandschaft? „S.O.S. Grünes Herz. Unsere Natur im Wandel“ nimmt das Tier- und Pflanzenreich näher unter die Lupe und damit die „Biodiversität“, also die Vielfalt der Arten und Ökosysteme, in der viele potenzielle Nutzungsmöglichkeiten stecken. Wölfe, Biber, Roter Apollo oder Feldhamster. Wandermuschel, japanischer Staudenknöterich und Ackerschmalwand. Es geht um seltene und gefährdete Arten sowie um eingeschleppte Arten, die Nutznießer der modernen Infrastruktur sind und unsere Ökosysteme bedrohen. Auch Kulturfolger wie Kaninchen, Spatz und Schwalbe, die sich im Umfeld des Menschen besonders wohlfühlen, sind Thema genauso wie sogenannte „Apophyten“, Pflanzenarten, die inzwischen nur noch in der Nähe des Menschen überleben können. Ob Land oder Stadt, Wald oder Fluss – ein Blick auf die heimische Umwelt zeigt, dass die meisten Landschaften hierzulande Kulturlandschaften sind. Durch Jahrhunderte der Bewirtschaftung haben Menschen das Bild unserer Umwelt gestaltet und geformt: Waldflächen wurden weitgehend künstlich zur Holzgewinnung angepflanzt, Flüsse durch gezielte Uferbefestigungen reguliert und kontrolliert. Die örtlichen „Seen“ sind vielfach ehemalige Kiesgruben oder Talsperren, jüngeren Datums ist die Prägung der Landschaft durch Windkraft- und Solaranlagen. Durch all diese Facetten zieht sich ein roter Faden von Wechselwirkung und Veränderung. Es ist eine Geschichte von Anpassung, Innovation und damit einhergehender Verantwortung für die Umwelt, die wir aktiv gestalten. Auch durch den Ausbau von grüner Infrastruktur in Städten, den Schutz von Mooren oder der Investition in nachhaltige Verkehrssysteme. Die Ausstellung zeigt Maßnahmen auf globaler und nationaler Ebene auf und wirft einen Blick auf die Natur von morgen. Natur- und Artenschutz werden als wichtige Instrumente diskutiert, aber auch die Grenzen und Perspektiven dieser Maßnahmen beleuchtet. Außerdem offenbart die Schau den Besucher*innen, welch große Schätze die Universalsammlung des Friedenstein birgt. Zu ihr zählen nicht nur Objekte aus den Bereichen „Kunst und Kultur“, sondern auch „Natur“. So erzählen die Präparate von Feldhamstern von ihrem Schicksal als Kulturfolger, von ihrer Geschichte als häufige und teils lästige Ackerbewohner zu einer streng geschützten Art. Die Insektensammlung liefert wertvolle Informationen, stellt sie doch die umfangreichste und wissenschaftliche bedeutsamste Thüringer Sammlung des 19. Jahrhunderts dar. Mit vielfältigen Vermittlungsansätzen wie Medienstationen und verschiedenen interaktiven Angeboten spricht die Ausstellung ein breites Publikum an und ist für alle Altersklassen interessant – ob aus Gotha, der Region oder von weither angereist. Eine Kinderebene macht zentrale Themen auch für junge Besucher*innen leicht zugänglich. „S.O.S. Grünes Herz. Unsere Natur im Wandel“ lädt ein, die eigene Vorstellung von „Natur“ zu überdenken und sich mit den Herausforderungen des Naturschutzes auseinanderzusetzen. www.friedenstein-stiftung.de Fotos: Wolfgang Hock „S.O.S. Grünes Herz. Unsere Natur im Wandel“ Die Jahreshauptausstellung der Friedenstein Stiftung Gotha Apollofalter (Parnassius apollo): in Thüringen mittlerweile ausgestorben, europaweit stark gefährdet. Feldhamster (Cricetus cricetus): Früher als Kulturfolger zu uns gekommen, mittlerweile eine gefährdete Art. Feldhamster mit fast gänzlich schwarzem Fell (Melanismus). Diese schwarze Form besitzt deutschlandweit betrachtet in Thüringen ihr Hauptverbreitungsgebiet, woraus sich eine besondere Schutzverantwortung für die thüringischen Bestände ergibt. Purpur-Knabenkraut (Orchis purpurea): Eine seltene heimische Orchideenart, die an den Hängen der Drei Gleichen wächst. Die Drei Gleichen: Kulturlandschaft, die seit Jahrhunderten durch den Menschen gestaltet /geprägt wird. Das als „schöne Natur“ Wahrgenommene ist von Menschen gemachte Landschaft – Monokultur des Rapsfeldes, von Baggern errichtete Straßen, Wälle etc.
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